Das Rheiderland ist ein Landstrich in Deutschland und den Niederlanden zwischen Ems und Dollart. Der deutsche Teil des Rheiderlandes liegt in Ostfriesland, westlich der Ems. Der niederländische Teil (geschrieben: Reiderland) liegt in der niederländischen Provinz Groningen und wird häufig dem Oldambt zugerechnet. Das Rheiderland ist auf dem Festland neben dem Overledingerland, dem Moormerland und dem Lengenerland eine der vier historischen Landschaften des Landkreises Leer.
Das Rheiderland besteht größtenteils aus Marschlandschaften (Polder, Kooge) und ist ebenso flach wie der übrige Teil Ostfrieslands, jedoch gibt es hier noch weniger Baumbepflanzung. Dadurch reicht der Blick bis zum Horizont. Entlang der Ems zieht sich die historische Flußmarsch, die bis zu 1,50 Meter unter dem Meeresspiegel liegt. Auf den feuchten bis nassen Wiesen brüten zahlreiche Wiesenvögel wie Kiebitz, Uferschnepfe oder Rotschenkel. Im Winter suchen hier bis zu 120.000 Wildgänse (vor allen Dingen Blässgans, Nonnengans und Graugans) nach Nahrung. Auch für Goldregenpfeifer, Regenbrachvogel, Großer Brachvogel und Kiebitz stellt der Grünlandbereich des Rheiderlandes einen Zwischenrastplatz von „international herausragender Bedeutung“ (Bundesamt für Naturschutz) dar. Daher ist das Gebiet seit 2000 als Europäisches Vogelschutzgebiet ausgewiesen. Das Vogelschutzgebiet trägt die Bezeichnung „V06 Rheiderland“, hat eine Größe von 8685 Hektar und wird als „eines der bedeutendsten Rast- und Überwinterungsgebiete für nordische Gänse in Niedersachsen“ bewertet.
Das Rheiderland wurde bereits früh von den Friesen besiedelt. Nachdem im 13. Jahrhundert die auswärtigen Machthaber aus Frieslande vertrieben waren, bildete das Rheiderland wie die anderen friesischen Gebiete ein eigenständiges reichsunmittelbares Territorium mit einer Ratsverfassung. Feudalismus war in diesen Landesgemeinden unbekannt. Hauptorte waren wohl Weener und Hatzum.
Zunächst war das Rheiderland eher in Richtung der Groninger Ommelande orientiert. Erst seit dem Einbruch des Dollarts (ab 1362), der große Gebiete des Rheiderlandes unter Wasser setzte und eine natürliche Grenze zu den Ommelanden bildete, wandte sich die Landesgemeinde stärker den friesischen Gebieten östlich der Ems zu. Durch Einpolderungen wurden bis ins 20. Jahrhundert viele an das Meer verlorene Gebiete zurückgewonnen.
Ab 1413 fiel das Gebiet unter die Herrschaft der Häuptlingsfamilie tom Brok und in der Folge zunächst an Focko Ukena und dann die Familie Cirksena. Nur für eine kurze Zeit konnte sich die Landesgemeinde noch einmal selbstständig machen. Der heute deutsche Teil des Rheiderlandes wurde somit Teil der Grafschaft Ostfriesland und teilte von da an deren Schicksal.
Nach dem Zweiten Weltkrieg erhoben die Niederlande Anspruch auf das ganze Rheiderland; jedoch wurden diese Ansprüche von den Siegermächten abgewiesen. Das Niederländische war auf der deutschen Seite des Rheiderlandes tatsächlich noch nicht lange durch das Deutsche als Hochsprache ersetzt worden. Es wurde nach wie vor von einem Großteil der Bevölkerung verstanden und aktiv gesprochen. Der einzige rechtlich-formelle Grund für die niederländische Territorialforderung war allerdings, dass das Rheiderland 1806 bis 1813 von Ostfriesland abgespalten war als Teil des Königreichs Holland bzw. der französisch-holländischen Départements. Die Siegermächte hatten jedoch kein Interesse an einer territorialen Neugliederung Deutschlands in den westlichen Grenzgebieten, und die Niederländischen Annexionspläne nach dem Zweiten Weltkrieg zerschlugen sich.
Ausflug ins Rheiderland
Der größte Ort ist die Stadt Weener, zugleich die einzige Stadt der historischen Region Rheiderland und weit über 1000 Jahre alt. In vergangenen Jahrhunderten hatte Weener einen Hafen an der Ems und lag an der linksemsischen Handelsroute ins südlich gelegene Münsterland. Die Stadt war vor allem durch ihre Vieh- und Pferdemärkte bekannt und exportierte landwirtschaftliche Handelsgüter. Mittlerweile spielen der Hafen als Warenumschlagsort und der Viehhandel keine Rolle mehr. Wirtschaftlich ist Weener vom Einzelhandel für die Region Rheiderland, von der Landwirtschaft und vom Tourismus geprägt. In der Stadt befinden sich auch einzelne Industriebetriebe.
Im Zuge der Sächsischen Fehde (1514–1517) zogen Landknechte der Schwarzen Garde durch das Rheiderland. Während der Geldrischen Fehde zwischen den Grafen Enno II. und Johann Cirksena und deren Intimfeind Balthasar von Esens sowie dessen Verbündetem, dem Herzog Karl von Egmond (1531–1534) war das Rheiderland Schauplatz kriegerischer Verwicklungen. 1533 zogen die Truppen des Herzogs von Geldern und Balthasars von Esens unter dem Söldnerführer Meinhart von Hamme mit 2000 Mann ins Rheiderland. Die Truppen Ennos wehrten den Einfall an der Dieler Schanze zunächst ab, ein weiterer Einfall von Hammes glückte jedoch. Er marschierte durch das heutige Stadtgebiet auf Jemgum zu, wo es im späteren Verlauf zur Schlacht von Jemgum kam, bei der die gräflichen Truppen unterlagen.
Im Achtzigjährigen Krieg, dem Unabhängigkeitskampf der Niederlande gegen Spanien, geriet das Rheiderland gleich zu Beginn in den Fokus der Kriegsparteien. Nach der Schlacht von Heiligerlee flohen die Geusen unter Ludwig von Nassau-Dillenburg gen Osten und quartierten sich im Rheiderland ein. Sie wurden von einem spanischen Heer unter dem Oberbefehl von Fernando Álvarez de Toledo, Herzog von Alba bis nach Ostfriesland verfolgt und in der Schlacht von Jemgum am 21. Juli 1568 fast völlig vernichtet. Die Truppen des Herzogs plünderten und brandschatzten anschließend drei Tage lang im Rheiderland.
Im Dreißigjährigen Krieg war Ostfriesland zwar nicht Schauplatz von Kampfhandlungen, es wurde jedoch von Truppen als Ruheraum benutzt. Dreimal (1622–1624, 1627–1631 und 1637–1651) zogen fremde Truppen in Ostfriesland ein, darunter hatte auch das Weeneraner Gebiet zu leiden. Besonders stark betroffen war die Region von der Besetzung durch die Mansfelder. Die beiden folgenden Besetzungen von 1627 bis 1631 durch kaiserliche Truppen unter Tilly bedeuteten ebenfalls Belastungen durch Kontributionen, desgleichen die von 1637 bis 1651 einquartierten hessischen Truppen unter Wilhelm V. von Hessen-Kassel. Während es für den Großteil Ostfrieslands hieß, die Besatzer hielten „Manneszucht und vermieden Ausschreitungen“ so galt dies für Weener nicht: 1637 nahmen hessische und 1647 kaiserliche Truppen den Ort ein und brannten ihn nahezu vollständig nieder. 108 Häuser wurden ein Raub der Flammen. Deswegen ist im Stadtwappen ein Phönix als Symbol für die Auferstehung aus dem Feuer enthalten.
Weener erholte sich schnell von den Kriegswirren und erlebte im ausgehenden 17. und im 18. Jahrhundert eine wirtschaftliche Blütezeit, die hauptsächlich auf den Pferdehandel zurückzuführen war. Die Rheiderländer Pferde galten als hervorragende Kutsch- und Reitpferde. Sie erwarben sich im In- und Ausland einen ausgezeichneten Ruf. Jährlich wurden mindestens 1000 Pferde verkauft, unter anderem nach Brandenburg, Hannover und Sachsen und bis zu den Adligen Venedigs. Aber auch Kunden im südlichen Italien sowie in Frankreich setzten auf die Pferde aus Weener.
Anfang des 19. Jahrhunderts stagnierte Weeners wirtschaftliche Entwicklung. Mit dem Frieden von Tilsit, als Preußen 1807 seine Gebiete westlich der Elbe an Napoleon abtrat, verschärfte sich der Niedergang weiter. Der Ort gehörte nun bis 1810 zum Königreich Holland und dann für etwa drei Jahre zum französischen Département Ems-Occidental. Obwohl Weener 1813 befreit wurde und in den Besitz Hannovers überging, erholte sich der Ort nicht. Handel und Schifffahrt gingen weiter zurück, der Hafen verödete.
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